Prezident Der Whiskeyrapper

Nach Meinung einer seit rund zehn Jahren wachsenden Fanbase ist Prezident Deutschlands mit Abstand bester Rapper. Neben der Tatsache, dass der Wuppertaler bis dato konsequent auf Gimmicks, Promo und sogar ein Label verzichtet, dürfte das vor allem daran liegen, dass sich Viktor Bertermann seit jeher voll und ganz auf seine Kunst konzentriert. Philipp Killmann beleuchtet in seinem Porträt für ALL GOOD eine der interessantesten Figuren der zurückliegenden und – vermutlich – kommenden Jahre Deutschrap.

Prezident

Als Prezident im Januar in dem beschaulichen Bielefelder Kulturzentrum »Nr. z. P.« den Soundcheck vor Publikum vornimmt, gibt er eine Anekdote zum Besten: Der geschätzte Lakmann habe in so einer Situation ja gerne mal eben einen Freestyle rausgehauen – »aber dafür bin ich zu voll«, sagt Prezident. Anzumerken ist dem Whiskeyrapper davon nichts. Wenig später teilt er sich die winzige Bühne mit den Kamikazes, mit denen er sich mehr oder weniger abwechselt, und ballert seine wortgewaltigen Raps streckenweise mit geschlossenen Augen souverän in das leider ungnädige Soundsystem. Aber halb so wild. Neben den Kamikazes fungiert unüberhörbar auch der harte Kern der rund 250 Konzertbesucher als Back-up-Rapper, in dem er Tracks wie »Signatur« oder »Classic Coke« durch die Bank mitrappt. Nach rund einer Stunde endet die Show mit dem in musikalischer Hinsicht vielleicht unbeschwertesten Song aus dem Opus Prezidents: »Es heißt, dass sie heiß ist«. Während anschließend Haupt-Act Absztrakkt seinen Auftritt bestreitet, vertickt ein verschwitzter Prezident Merchandise, signiert und bemalt seine Platten und lässt Fans bereitwillig Selfies mit sich machen. Der Buzz ist auch anderthalb Jahre nach dem aufsehenerregenden Prezident-Album »Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte« ungebrochen. Nun brachte der 30-jährige Wuppertaler mit der »Handfeste EP« mal wieder eine kostenlose Platte unters Volk. Zeit für ein Kennenlernen.

Vier Wochen später in Wuppertal. Es ist Freitag, der 13. und im Bergischen Land strahlt die Sonne. Nicht gerade das, was man sich unter typischem Prezident-Wetter so vorstellt. Er empfängt uns in seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nähe des »Platzes der Republik« im Stadtteil Elberfeld und macht erst mal Kaffee. Über dem Sofa im aufgeräumten Wohnzimmer hängt »Der Garten der Lüste« von Hieronymus Bosch, zwischen den beiden Fenstern ein kleines eingerahmtes Prezident-Graffiti und an der Wand gegenüber »The Piano Has Been Drinking« von Lara Zombie – darunter stehen zwei kleine Boxen und ein Computer. Hier schreibt Prezident seine Texte. »Ich hasse es, handschriftlich zu schreiben, weil ich viel hin- und herschiebe. Das brauche ich auch. Ich habe zwar ein Gefühl für Formulierungen, finde aber nur selten auf Anhieb die richtige.«

In zwei Bücherregalen finden sich alte Bekannte aus Prezidents Texten wieder: Charles Bukowski, Marquis de Sade, Franz Kafka, Michel Foucault, Pierre Bourdieu und viele andere. Ganz unten stehen ein paar Platten. Seine CDs sind in einem kleinen Umzugskartons verstaut: »Südberlin Maskulin« von Frank White & Godsilla, »Ich bin’s« von Lord Scan, »Russisch Roulette« von Haftbefehl. »Ich habe mir schon ewig keine CDs mehr gekauft«, sagt er. »Die Haftbefehl haben mir meine Eltern geschenkt.« Aktenordner sind mit »Geschichte«, »Whiskeyrap-Shop« et cetera beschriftet. In der Ecke, links neben der Musikanlage, befindet sich die Booth: offen zwar, aber mit Schaumstoff ausgepolsterter Ecke, von der Decke hängendem Mic samt Popschutz, gesäumt von einem kleinen Podest, den weitere bekannte Prezident-Figuren zieren: Hennessy, Jack Daniel’s und Maker’s Mark. Sein Schlafzimmer nebenan ist gleichzeitig der Whiskeyrap-Shop, wo sich in Regalen T-Shirts, Hoodies, Platten und CDs stapeln.

»Ich war ziemlich unfunky.«

Prezidents Affinität zur New Yorker HipHop-Ästhetik der mittleren 90er Jahre schlägt sich nicht nur in seinem minimalistischen, düsteren Sound, sondern auch in seiner Kleidung nieder: graues T-Shirt, weite dunkelblaue Jeans, brauner Zip-Hoodie, braune Lederjacke und Timberlands dazu, los geht’s – auf zur nahegelegenen Nordbahntrasse, einer zu Fuß- und Radweg umfunktionierten Bahnstrecke, für einen kleinen Spaziergang durch das rund 345.000 Einwohner zählende Wuppertal. Die nordrhein-westfälische Stadt mit der berühmten Schwebebahn hat sich der HipHop-Welt vor allem durch Walkin‘ Larges Video zum immergrünen »Reachin‘« ins Gedächtnis eingebrannt.

Viktor Bertermann ist damals noch nicht Prezident und gerade mal elf Jahre alt. Er beschäftigt sich vorzugsweise mit Computerspielen und Comics. »Und weil ich ein Typ bin, der schnell was selber macht, habe ich dann auch selbst Computerspiele programmiert und Comics gezeichnet«, erzählt er. Sein Soundtrack besteht damals allenfalls aus den Toten Hosen oder Rammstein. »Ich war ziemlich unfunky«, sagt er. Auf Rap wird er erst drei Jahre später im Zuge des zweiten Deutschrap-Hypes aufmerksam. Ein Klassenkamerad, der Sohn des späteren Bundespräsidenten Johannes Rau, spielt ihm das »Bambule«-Album von den Beginnern vor. »In dem Haus hinter dem da hat er gewohnt«, sagt Prezident im Gehen und zeigt auf ein im Vergleich zu den angrenzenden Villen eher bescheiden anmutendes Eigenheim.

Die Beginner fixen ihn an. Er nimmt in den Medien alles mit, was er über Rap-Musik erfahren kann und irgendwann an einem HipHop-Workshop des Rappers Ufuk aus dem Umfeld der alteingesessenen Wuppertaler Crew H4P teil. Er fängt selbst an zu rappen – im Freundeskreis, im Jugendhaus. Mit 16 lernt er den fünf Jahre älteren Fella Oner von der Crew NRW (für: ›Nordreimwestfalen‹) kennen, irgendwann auch Petrus von Eks & Hop und wiederum Jahre später Sinuhe von den True Headz, deren Track »Status« im Jahr 2000 von der »Juice« zur »Maxi des Monats« gekürt wurde – allesamt Wuppertaler. Rap-mäßig orientiert habe er sich aber weder an Walkin‘ Large, noch an den anderen Heads der Stadt. Allein Fella Oner habe ihn maßgeblich geprägt, zumindest was den Flava angeht, wie Prezident, wieder zurück in seiner Wohnung, sagt. »Durch ihn habe ich Wu-Tang und Def Squad und so kennengelernt.«

Fella Oner erinnert sich an einen 16-jährigen Viktor, der noch »was ruhiger« war. »Mit ruhiger meine ich, er war ja jünger und hatte einen anderen Background als ich. Ich war schon 21, hab in einer Fabrik geknechtet, hatte eine eigene Bude, hab Gras gequalmt, ab und zu gesoffen… Ich war halt bissken asiger, hatte einen anderen Freundeskreis, kam von der Hauptschule und kannte schon viele Rapper und war schon immer extrem extrovertiert«, so Fella. »Viktor war zu dem Zeitpunkt auf einem Gymnasium, wohnte logischerweise noch Zuhause und hatte mit Drogen nichts am Hut – vernünftiger halt als ich zu dem Zeitpunkt.« Ihr gemeinsamer Nenner war von daher vor allem Rap. »Wir haben viel über HipHop gelabert und Mucke gehört. Ich war eher auf der Representer/Battlerap-Schiene unterwegs, aber nach einer gewissen Zeit kam Viktor, der bis dahin mehr Storytelling gemacht hat, auch auf den Geschmack.«

»›Illmatic‹ habe ich über fünf Jahre lang jeden Tag gehört.«

Mehr als alle deutschen Rapper prägt Viktor jedoch Nas, den er mit dem Album »I Am« für sich entdeckt und ihn sich rückwärts über »It Was Written« und »Illmatic« erschließt. »›Illmatic‹ habe ich über fünf Jahre lang jeden Tag gehört«, erzählt er. »An Nas gefällt mir das Gesamtpaket: Er hat ein hohes technisches Level, ohne aufdringlich zu sein – anders als bei deutschen Rappern, die fünfsilbig reimen, so dass man’s merkt. Außerdem erzählt Nas perfekt – sei es in ›N.Y. State of Mind‹ am Stück oder in Form von kleinen Anekdoten und Momentaufnahmen in einzelnen Parts.« Diese Mischung aus ausgefeilter Technik und gekonnter Erzählkunst findet er später bei Aphroe wieder, dem er nebst Nas in seinen Raps immer mal wieder huldigt. Ein anderer Einfluss, den man bei Prezident auf den ersten Blick weniger vermuten würde, ist Lil Wayne. »Das kann man in ›Die Krone ist uns‹ mit Ahzumjot oder in ›Zu Jim inne Wanne‹ raushören, dieses Knurren und Krächzen – aber sowas habe ich bei Nas nie hinbekommen.«

Als EMP, wie sich Viktor als Rapper zunächst nennt, nach dem Abitur ein Praktikum im MZEE-Shop in Köln macht, schustert er 2004 mit Fruity Loops das Album »Cribz« zusammen, das zwar »grauenvoll gerappt«, aber »sonst nicht so scheiße war«, wie er findet. Tatsächlich ist auf »Cribz« nicht nur ein junger und unüberhörbar hungriger Rapper zu hören, sondern auch ein angehender Künstler, der es liebt, mit der Sprache zu spielen und Geschichten zu erzählen. »Gezeichnet (vom Leben): EMPrezident, Rap-Legende in spe«, ist im Cover-Artwork zu lesen.

Ein Jahr nach »Cribz« stellt sich Viktor die Frage, wer er als Rapper auf lange Sicht überhaupt sein will. Bis dahin habe er sich als solcher schlichtweg kaum reflektiert. Aber inzwischen törnten ihn Dipset, RBA, das ganze Battle-Ding einfach ab, erzählt er. Die neue Devise lautet: weniger Battle-Rap, mehr Konzept-Songs und Storytelling. 2005 wird aus EMP, beziehungsweise EMPrezident schlicht Prezident. »Das war eigentlich ein guter Zeitpunkt, sich einen coolen Namen zu geben. Stattdessen habe ich jetzt halt einen relativ albernen«, sagt er. »Aber ich wollte was Neues machen – etwas, das mir besser steht und einzigartig ist. Zu der Zeit habe ich Bukowski, The Doors und Tom Waits und so entdeckt und fand es spannend, wie die Songtexte und Short Storys geschrieben haben. Außerdem war ich die Jahre zuvor recht depressiv und habe mich mit ihren Figuren und Geschichten stark identifizieren können. So hat sich diese Prezident-Identität herausgeschält.«

Fella bestätigt diese Entwicklung. »Er hat viel Bukowski gelesen und die Art und Weise gefeiert, wie der ehrliche und peinliche Sachen aus seinem Leben schrieb, ohne dabei peinlich zu klingen. Und durch sein Studium hat er sicher noch einige Bücher gelesen, die ihn beeinflusst haben. Als Prezident waren seine Texte dann wieder fernab vom Battle und nicht so ganz mein Fall, da ich der heftigste Hardliner war und immer ein bestimmtes Bild vom Rap im Kopf hatte. Musikalisch wurde er über die Jahre immer besser und hat sein Ding gemacht, und das ja ziemlich erfolgreich.« Öffentlich eingeleitet wird die Prezident-Ära noch im selben Jahr mit dem Track »Hip-Hop-Hemingway«: »Rap bekommt ein neues Gesicht / Es ist nicht besonders schön, aber ehrlich – was ich häufig vermiss‘.«

In den nächsten beiden Jahren folgen drei Mixtapes, die 2008 in dem rabenfinsteren Album »Kleiner Katechismus« kulminieren. Die elf brachial gehaltenen und wie ehedem bis dahin größtenteils selbst produzierten Tracks strotzen vor Selbsthass, Misanthropie, Alkoholexzessen, Stoßgebeten, Liebesbeschwörungen, Selbstmord- und Fickfantasien und klassischem Representen im HipHop-Hemingway-Gewand. Wer noch nie etwas von Charles Bukowski gelesen hat: Auf dem »Kleinen Katechismus« rappt Prezident so wie Bukowski schrieb.

»Ich rappe über das, was ich erlebe – nur spannender.«

Und wie sich ein Bukowski-Leser vielleicht fragt, wie viel von Protagonist Henry Chinaski in Bukowski selbst stecken mag, fragt man sich beim Hören des Wuppertalers, wie groß die Schnittmenge von Prezident und Viktor wohl ist. Der mit Prezident befreundete Antagonist von den Kamikazes sagt dazu: »Ich hab‘ nie irgendeinen Unterschied zwischen diesem Prezident und diesem Viktor gemacht. Er ist halt: der Prezi. Prezident als ›Kunstfigur‹ ist sicher ein künstlerisch in Form gegossener Viktor, manchmal aber auch einfach ein Schnappschuss, aber vor allem noch ein Stück mehr on point und in die Fresse.« Und wie sieht Viktor selbst die Sache? »Ich bin Prezident – nur entspannt. Prezident ist eine Übersteigerung, aber kein entworfenes Image, sondern hat sich eben so ergeben. Prezident ist eine Mutation meiner selbst. Ich rappe über das, was ich erlebe – nur spannender.« Die Anleihen, die er bei Bukowski macht, dienen ihm als Mittel zur Selbstinszenierung und Romantisierung, damit alles ein bisschen weniger scheiße ist, wie er an anderer Stelle sagt. Seine mitunter abgrundtief düsteren Texte sprechen diesbezüglich Bände – ohne jedoch preiszugeben, was genau ihn eigentlich so leiden lässt.

Lines wie »Es ging mir mehr als nur ein bisschen scheiße« tut er als vergangenen »postpubertären Weltschmerz« ab. »Da habe ich auch mit meinen eigenen Schwächen kokettiert«, erklärt er, »aber das ist so ja auch erst in der Erzählung möglich.« Über seine depressive Phase in seiner Jugend sagt er, dass man objektiv darüber doch gar nichts sagen könne. Stattdessen verweist er lieber auf Tracks, wie »Galgenhumor«, »Vom Mann in Reno«, »Zu Jim inne Wanne« oder eben »Rotz und Wasser« – »als subjektive Wiedergabe des Empfundenen«. Und der Alkohol? Trinkt er wirklich so viel, wie seine Lyrics vermuten lassen? Er hält kurz inne und sagt dann knapp: »Es stört zumindest nicht in meinem alltäglichen Dasein.« Auch im Zwiegespräch bleibt es bei den schon in »Menschenpyramiden« erwähnten »Splittern biografischer Details«. Er sagt lieber ein Wort weniger als eins zu viel.

Prezident legt zwar Wert auf eine gewisse Natürlichkeit – Gimmicks wie Pullunder oder Masken sind seine Sache nicht – aber sein Anspruch auf Authentizität ist nicht Deckungsgleichheit. Er lässt sich ein wenig über Kunst aus. »Nach der Kunst um der Kunst willen, Ende des 19. Jahrhunderts, kam in der Postmoderne schließlich die Frage auf, was echte, legitime oder hohe Kunst und im Gegensatz dazu Trivialkultur ist – mit der Antwort: Kunst ist das, was als Kunst erklärt wird.« Für diesen Kunstdiskurs stünden etwa Readymades oder Joseph Beuys‘ »Fettecke«. Diese Kunst erkenne man aber nur noch, indem ein Museum um sie herumsteht. Deshalb liebt Prezident Rap. Rap ist für Prezident eine im Grunde vormoderne Kunstform mit postmodernen Mitteln. »Jeder weiß, dass ein Roman fiktional ist, bei dem man Spielchen mit Fiktionalität und Faktualität einfach hinnimmt.« Aber Rap sei eben anders. »Das Authentizitätspostulat hält die Leute normalerweise davon ab, sich einen erfundenen Charakter zuzulegen. Stattdessen vergrößert der Rapper sich selbst, er geht von seiner Person aus und macht sie ›larger than life‹. Diese Kopplung an die Realität macht Rap für mich spannend.« Auf diese Weise bekomme Kunst einen Sinn zurück, den sie spätestens mit der Postmoderne verloren habe. »Rap ist geil, weil irgendein Otto, der keine Ahnung von diesem Kunstdiskurs hat, sich und seine Umwelt reflektiert und künstlerisch wiedergibt. Und das ist authentisch, auch ohne Deckungsgleichheit. Man kann sich reinziehen, wie jemand wie zum Beispiel ein Scarface oder ein Prodigy tickt. Das finde ich spannend.«

»Ich mag es, Stereotypen zu brechen, ohne sie allzu überzogen zu karikieren.«

Kunstfiguren-Rapper, wie er sie nennt und etwa in Kollegah auf die Spitze getrieben sieht, findet er wack. »Bei einem Kollegah als überzeichnete Comic- oder Witzfigur ist es ja so, als ob jemand die ganze Zeit aus dem Off rufen würde ›Nur Spaß! Ist nicht echt! Alles nur gespielt!‹ Ich mag es nicht allzu aufdringlich, sondern lieber ein bisschen zurückhaltend. Und ich mag es nicht, sich selbst als den Übertypen zu inszenieren, ohne es ironisch zu brechen. Ich mag es, Stereotypen zu brechen, ohne sie allzu überzogen zu karikieren.« Prezident rappt das, was er rappt, weil er es prinzipiell ernst meint. Glaubwürdig macht er sich nicht zuletzt damit, dass er bis 2013 all seine Musik auf Whiskeyrap.de als kostenlose Downloads verschenkt. »Man sagt, ich sollte mal mehr Werbung machen, aber mir ist Kunst lieber«, rappt er in »Antimärchen«.

Auf den »Kleinen Katechismus« folgen zahlreiche weitere Mixtapes, EPs und noch ein Album – alles in allem maßgeblich produziert von dem Wuppertaler Duo Epic Infantry, Dizztorted Views, Bojanglez oder Dubios. Ein Schaffensprozess, in dessen Verlauf Prezidents ohnehin signifikante Stimme, Flow und sein bildhaftes Storytelling noch sicherer und die Selbstzerfleischung sowie postpubertärer Weltschmerz streckenweise durch Gesellschaftskritik und Abgeklärtheit ersetzt werden. Folgerichtig erscheint mit »Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte« im Jahr 2013 sein erstes Album, das er nicht verschenkt. Das zahlt sich aus: rund anderthalb Jahre nach dem Release kann er immer noch von seiner Musik, von Auftritten und dem Verkauf von Merchandise leben – ohne Label im Rücken, als Ein-Mann-Armee. Nebenbei jobbt er weiter an der Bergischen Universität und strebt sein Abschlusskolloquium in Geschichte und Germanistik an. Ferner bereitet er einen Vortrag über Johann Gottfried Schnabel und dessen Bedeutung für Pornografie in deutscher Sprache vor und arbeitet am neuen Prezident-Album. Alles angepeilt für Ende des Jahres.

»Shabba!«, ruft Prezident an diesem Tag immer mal wieder unvermittelt aus. A$AP Ferg lässt grüßen. »Ich bin seit meinem letzten Album wieder sehr Fan geworden – vom A$AP Mob, von Lil Herb, The Weeknd, Roc Marciano, Run the Jewels und Ka«, zählt er auf, während Action Bronson aus den Boxen dröhnt. Außer Tom Waits höre er sonst so gut wie keine andere Musik als Rap. Auf seinem neuen Album, das überwiegend von Jay Baez produziert wird, will er mit weniger Loops arbeiten, mehr mit stark reduzierten Beats, so wie Ka. Zwei Tracks seien bereits weitestgehend fertig. »Knapp 9000 Meter tief im Köhlerliesel« heißt einer davon, benannt nach einer Wuppertaler Kneipe. Er spielt ihn an, nickt mit dem Kopf zu einem sehr organischen Sound, der quasi ohne Beat auskommt und in dieser Form auf der »Handfeste EP« noch nicht zu finden ist.

Es ist etwa 21 Uhr, als Prezident, der sieben Jahre als Koch gejobbt hat, nach einem selbstgemachten Nudelgericht mit Aubergine und Bacon das erste Pils trinkt. Wenig später bricht er auf in Richtung Kneipe. Dann ist er weg.